"Ich will mit an diesem Tisch sitzen"

Eröffnung des Fachtags

Die Fachtagung „Von wegen schwer erreichbar! HIV-Prävention für & mit afrikanischen Communities“ zeigt, wie HIV-Prävention funktionieren sollte: nicht nur für, sondern mit den Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenswelten.

Forderungen gibt es viele an jenem Freitag in Köln. Aber die wohl eindrucksvollste stammt von Maureen Ndawana vom African Health Policy Network in Großbritannien. "Ich bin so laut, weil so viele Stimmen in mir sind", ruft sie in einem strahlend violetten Kleid ins Publikum. "Wer sagt, dass Frauen mit HIV dünn und hässlich sein müssen? Wer sagt, dass sie still sein müssen?", fragt sie rhetorisch.

Die eigene Stimme bemerkbar machen – die Stimmen der aus Afrika stammenden Menschen und die der HIV-Positiven selbst – dieses Ziel stand im Mittelpunkt der Fachtagung „Von wegen schwer erreichbar! HIV-Prävention für & mit afrikanischen Communities“ am 30. September in Köln.

"Vor zehn Jahren hat wohl niemand eine solche Fachtagung für möglich gehalten", sagt Tanja Gangarova, Referentin für Migration der Deutschen AIDS-Hilfe, bei ihrer Begrüßung. Denn früher war es auch in der HIV-Prävention üblich, mehr über Migrantinnen und Migranten zu reden statt mit ihnen. Eingebürgert hatte sich die Vorstellung, dass die Zielgruppe schwer zu erreichen sei. Mit diesem Mythos will die Tagung aufräumen. "Jeder ist für irgendwen schwer erreichbar", unterstreicht die Soziologie-Professorin Hella von Unger. Es komme immer auf die Art der Ansprache an – und natürlich darauf, wer spricht.

Für Menschen innerhalb der afrikanischen Community selbst sei es nicht schwer, andere Menschen derselben Community anzusprechen. Was liegt da näher, als mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten? Doch das klingt einfacher, als es ist. "Das Gelingen von Beteiligung hängt auch davon ab: ,Wie bereit sind wir, einen Teil unserer Macht abzugeben?'", erklärt Tanja Gangarova. Das ist nicht selbstverständlich.

Ein zentraler Begriff der Fachtagung lautet deshalb "echte Partizipation" – im Gegensatz zu den immer noch vielfach praktizierten Formen von Scheinbeteiligung. Wenn jemand schwarze Menschen suche, die für Ereignisse vor der Kamera kochen oder trommeln, würden Migrantenorganisationen gerne angefragt, berichtet Lillian Petry vom Netzwerk AfroLeben Plus. Die Planung aber laufe an Tischen, an denen keine Migranten zu finden sind. "Ich will mit an diesem Tisch sitzen", fordert die Aktivistin.

Die Fachtagung soll ein Schritt in diese Richtung sein. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat sie gemeinsam mit AGHNiD organisiert, einem Netzwerk von Afrikanern, die sich für die Gesundheit von Mitgliedern der eigenen Community einsetzen. Koordinator Omer Idrissa Ouedraogo betont, dass es afrikanischen Menschen nicht an Wissen und Wollen fehle, sondern an den nötigen Strukturen und an Geld.

Als Schlüsselerlebnis bezeichnet Ouedraogo, der aus Burkina Faso kommt und seit 2007 in Deutschland ist, eine Reise zum Welt-Aids-Kongress 2010 nach Wien. Als Mitwirkende des partizipativen Forschungsprojekts PaKoMi haben er und andere Migranten dort ihre Arbeit vorgestellt. Dass bei dem Kongress Menschen aus der afrikanischen Community selbst über ihre Projekte berichteten, sei etwas ganz Neues gewesen. Dieses Erlebnis habe sie inspiriert, ein eigenes Netzwerk zu gründen. "PaKoMi hat gezeigt: Es gibt viele Migranten, die in Deutschland etwas bewegen wollen", erzählt er. Die in die neue Heimat mitgebrachten Kompetenten und Ressourcen sollen genutzt werden, fordert Ouedraogo.

Doch um Präventionsarbeit leisen zu können, braucht es Informationen über die Zielgruppe.

Zwei bei der Fachtagung vorgestellte Beispiele zeigten, dass der partizipative Ansatz auch in der Wissenschaft Einzug hält. Zwangsläufig, wie Claudia Santos-Hövener und Carmen Koschollek vom Robert-Koch-Institut berichten. Am Anfang stand die Idee, durch ein epidemiologisches Forschungsprojekt eine Vorstellung über das Wissen und die Einstellung in Bezug auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten zu gewinnen. Es zeigte sich aber, dass das nicht so einfach ist. "Wir können das machen, wenn wir das gemeinsam machen", hätten Afrikaner und Afrikanerinnen in den Vorgesprächen betont. Denn: Die afrikanische Community als Zielgruppe der HIV-Prävention zu adressieren, ist ein Balanceakt. Zahlen zeigen, dass dies wichtig ist: Zehn bis fünfzehn Prozent aller HIV-Erstdiagnosen in Deutschland betreffen Migrantinnen und Migranten aus dem subsaharischen Afrika, berichtet Claudia Santos-Hövener. Dabei mache diese Gruppe nur 0,25 Prozent der Bevölkerung aus.

Gleichzeitig aber müsse verhindert werden, Klischees zu bedienen. In den Köpfen der Menschen dürfe nicht das Bild Afrika = Aids entstehen, warnt Santos-Hövener.

Das Robert-Koch-Institut versuchte, nicht in diese Falle zu tappen, indem es mit Menschen aus der Community zusammenarbeitete. Sie fungierten etwa als Peer Researcher und rekrutierten Studienteilnehmer und Studienteilnehmerinnen.

Die Daten, die 2015 und 2016 erhoben wurden, zeigten, dass zwar viele Fakten über HIV bekannt sind, über Hepatitis jedoch nicht. Auch hätten etwa 40 Prozent nichts von den anonymen Testangeboten gewusst und nur 64 Prozent der Befragten sei klar gewesen, dass HIV in Deutschland kein Grund zur Ausweisung ist. Eine Empfehlung der Wissenschaftlerinnen ist deswegen, dass Testangebote in der afrikanischen Community bekannter gemacht werden müssen.

Doch was ist eigentlich diese Community, die eine so zentrale Rolle zu spielen scheint? Hella von Unger stellt in ihrem Vortrag fest: Community ist etwas, das von innen entsteht und nicht von außen übergestülpt wird. Communities seien auch nicht zwangsläufig ethnisch bestimmt. Und wer einer bestimmten Ethnie angehört, müsse nicht zwangsläufig zur entsprechenden Community gehören.

Die Soziologie-Professorin hat das Forschungsprojekt PaKoMi mit konzipiert, das an der Schnittstelle zwischen Politik, Wissenschaft, professioneller Praxis und migrantischen Lebenswelten angesiedelt war. Zwischen 2008 bis 2011 wurden Fallstudien in verschiedenen Städten durchgeführt.

Von Unger gibt ein paar praktische Tipps, wie man solche partizipativen Projekte durchführt. Unter anderem rät sie, eine einfache Sprache zu benutzen, auf Führungsfiguren aus der jeweiligen Community zu setzen und lockere Events zu organisieren, um mit der Zielgruppe in Kontakt zu treten.

Sie betont: "Es ist nicht leicht, hier in Deutschland über HIV und Migration zu sprechen." Für Deutsche sei Migration auch immer mit dem Stichwort Gefahr besetzt. Gleichzeitig sei Afrika für viele ein Sehnsuchtsort. "Angst und Begehren spielen zusammen." Diesen Deutungsrahmen gelte es zu durchbrechen, indem man beispielsweise darauf verweise, dass die meisten Migranten jung und gesund seien.

Im Laufe der Tagung wird immer wieder deutlich, dass mit HIV infizierte Migrantinnen und Migranten mit doppelten Problemen zu kämpfen haben: Als Fremde, die vielleicht die deutsche Sprache nicht beherrschen und die Strukturen nicht verstehen. Und als HIV-Infizierte, die unter Vorurteilen und Stigmatisierung leiden. Die Fachtagung zeigt eindrücklich, dass es in den Netzwerken der afrikanischen Migranten und Migrantinnen Kraft und Willen gibt, gegen diese Probleme anzukämpfen. Und sie zeigt auch, dass es in der Politik auf Bundes- und Landesebene offene Ohren für ihre Anliegen gibt. So sind unter den Gästen auch Gesa Kupfer vom Bundesministerium für Gesundheit, Dr. Anne Bunte, Leiterin des Kölner Gesundheitsamtes, und Hans Hengelein vom Niedersächsischen Gesundheits- und Sozialministerium.

Gleichzeitig aber werden aber auch strukturelle Schwierigkeiten identifiziert: Dass beispielsweise Projekte oft angeschoben, aber nicht nachhaltig fortgeführt werden. Und dass Migrantinnen und Migranten häufig ehrenamtlich arbeiten, aber die entsprechenden Stellen an den Ämtern immer noch von Weißen besetzt sind. Nicht umsonst schließt Tanja Gangarova die Tagung mit dem Appell, Macht abzugeben – an diejenigen, die als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelten genau wissen, wie sie ihre Mitmenschen erreichen können.

(Inga Dreyer)